Schwere Überschwemmungen auf Insel Euböa mit 8 Toten - Regierung unterschätzte die Gefahr mit fatalen Folgen (+ Fotos)


Das Sturmtief "Thalia" hat in der Nacht von Samstag Sonntag auf der zweitgrößten griechischen Insel Euböa mindestens 8 Menschenleben gekostet. Etwa 3.000 Wohnhäuser wurden ganz oder teilweise zerstört. Die Menschen wurden buchstäblich im Schlaf von reißenden Wassermassen überrascht. 
In sechs Stunden fielen über 300 Millimeter Regen, das ist mehr als in Athen im ganzen Winter. Die Feuerwehr wurde 664 Mal zu Hilfe gerufen, meistens um Häuser auszupumpen. 97 Menschen mussten teils mit Hubschraubern aus ihren Häusern evakuiert werden. Mehr dazu im ausführlichen Bericht von Wassilis Aswestopoulos von heise.de.

Massive Schäden in der Infrastruktur

Es ist charakteristisch für das Ausmaß der Katastrophe, dass am Festland gegenüber der Inselhauptstadt Chalkida, rund um den Ort Dilesi, Tonnen von Möbeln, Abfall, Sperrgut, Abfallcontainer, tote Tiere, aber auch lebendige Schlangen angespült wurden. Der gesamte Strand von Dilesi, eigentlich einer der saubersten Badestrände, gleicht einer schwimmenden Abfallhalde.

Bis in die Nachtstunden des Sonntags sind die Räumungsarbeiten und das Abpumpen des Wassers aus den überfluteten Gebäuden nicht abgeschlossen. 

Bei Vasiliko, bei Fylla und Afrati sind die Brücken über den Lilanta-Fluss eingestürzt. Damit ist der südliche Teil der Insel Euböa vom mittleren Teil faktisch abgeschnitten. Es gibt zwar eine schwer befahrbare Bergstraße die am Delta des Lilantas vorbei führt. Diese ist jedoch bedeutend länger und führt durch Orte, in denen es Todesopfer wegen des Unwetters gab. Die Polizei kann keinerlei Informationen über die Befahrbarkeit dieser Strecke geben. Laut Angaben der Regionalregierung ist das zu dieser Strecke gehörende Teilstück zwischen Pournos und Mistros nicht befahrbar. Somit ist die Nationalstraße zur Inselhauptstadt Chalkida, von wo es Brücken zum Festland gibt, für die Menschen um Süden der Insel nicht erreichbar.

Ergo waren zahlreiche Wochenendurlauber im Süden der Insel "gefangen". Ihr einziger Ausweg sind die Fähren von Eretria, und Styra. Die Rückreisenden, die eigentlich eine Fahrtstrecke von knapp 140 km eingeplant hatten, fanden sich in kilometerlangen Staus wieder. Die durchschnittliche Wartezeit für die Fähre betrug vier Stunden. Die Fährbetriebe legten nach offiziellem Fahrplanende Extraschichten ein, um die Urlauber sicher von der Insel zu bringen.


Dramatische Rettungsaktionen

Die Feuerwehr rettete 82 Personen vor dem Ertrinken im eigenen Haus. 54 davon konnten über Land oder mit Schlauchbooten gerettet werden, 28 wurden per Helikopter von den Dächern ihrer Häuser gerettet. Zusätzlich dazu rettete auch der Katastrophenschutz 15 Personen, von denen zwei mit dem Hubschrauber aus ihrer misslichen Lage befreit werden mussten.

Zwei Greisinnen im Alter von 94 und 90 Jahren gelang die Rettung auf abenteuerliche Weise. Die eine, wegen altersbedingter Bettlägerigkeit ans Bett gefesselt, konnte auf ihrer Dekubitus-Matratze im Wasser treibend gerettet werden. Die andere hatte sich drei Stunden lang unter Anfeuerung und Ermutigung durch ihre Nachbarn mitten im reißenden Strom der Flut an einem Zementstein festgehalten. Eine weitere Seniorin wurde auf einer Kommode treibend lebend im Wasser gefunden.

Weniger Glück hatten zwei 85-Jährige im Ort Politika. Eine allein lebende, gehbehinderte Frau wurde in ihrer Parterrewohnung im Schlaf von den Wassermassen erstickt. Einem gleichaltrigen Mann widerfuhr das gleiche Schicksal.

In einer weiteren Parterrewohnung, in der ein Ehepaar mit Kindern zum Urlaub weilte, wurden die Erwachsenen durch den Lärm der Flut geweckt. Der Vater öffnete die Tür, um zu sehen was los war, und Wassermassen drangen ein, welche den acht Monate alten Säugling der Familie mitrissen. Das Kind konnte nach mehreren Stunden nur tot geborgen werden.


Die zerstörte Natur fordert ihren Tribut

Im Vorfeld des Unwetters hatte Dimitris Psathas, der Bürgermeister der Stadtgemeinde Dirfys-Messapion, die neben der Inselhauptstadt Chalkida am stärksten betroffen ist, vor dem gefährlichen Unwetter gewarnt. "Thalia" hatte bereits im Norden des Landes für schwere Überschwemmungen gesorgt. Das Sturmtief sorgte über fünf Tage für Regenfälle in unterschiedlichen Regionen des Landes.

Euböa war bis Samstagnacht verschont geblieben. Gegen 22 Uhr setzten am Samstag schwere Gewitter ein. Zahlreiche Blitze ließen die Nacht zum Tag werden. Erst ab ungefähr 7 Uhr am Sonntagmorgen hörte es auf.

Die Situation hinsichtlich der herabfallenden Wassermassen schien an den betroffenen Orten überschaubar. Allerdings war vielerorts die Stromversorgung unterbrochen. Diejenigen, die sich zum Schlafen ins Bett gelegt hatten, wurden jedoch in den frühen Morgenstunden von den Wassermassen, die mit den Flüssen aus dem gebirgigen Teil der Insel gen Meer strömten überrascht.

Dies geschah in den Teilen der Insel, die 2018 und 2019 durch verheerende Waldbrände von der Vegetation befreit wurden. Dazu kommt, dass in der Ebene des Deltas des Lilantas jahrzehntelang Ton und Sand abgebaut wurde, um die Bauindustrie und vor allem die Großprojekte rund um Olympia 2004 mit Ziegeln und Flusssand für den Beton zu versorgen. Bereits Anfang 2019 war dieses Gebiet wegen zahlreicher Überschwemmungen für mehrere Monate zum Katastrophengebiet erklärt worden. Zuletzt gab es in den nun betroffenen Gebieten 2009 eine verheerende Flut.

Die Waldbrandgebiete, die teilweise in Natura-Naturschutzgebieten liegen, wurden vor knapp vier Monaten per Gesetz für die Installation großer Windparks, samt der dazu erforderlichen Zubringerstraßen, "geöffnet". Die Regierung, gegen den erbitternden Widerstand nahezu sämtlicher Inselbewohner handelnd, verspricht sich davon Investitionen.


Keine Vorwarnung per "112"-Dienst...

Angesichts der Flutkatastrophe von Mandres in Attika und der Brandkatastrophe von Mati in Attika hatte der jetzige Premierminister Kyriakos Mitsotakis, damals als Oppositionsführer, eine weitere Infrastruktur versprochen. Für den Katastrophenfall sollten alle Bürger über die Telefonnummer 112 mit Push-Nachrichten auf ihren Mobiltelefonen informiert werden.

Als eine der ersten Amtshandlungen hatte Mitsotakis nach der gewonnen Wahl im Juli 2019 den Push-Nachrichten-Dienst feierlich eingeweiht. Er kam zum Beispiel beim mehrtägigen, verheerenden Brand rund um Kontodespoti auf Euböa zum Einsatz und half bei der Evakuierung der Bürger. Denn diese waren auch ohne elektrischen Strom, TV oder Radio informiert. Auch in der Corona-Krise wurde der Lock-Down über die 112 an die Bürger kommuniziert.

Bei der Flutkatastrophe von Euböa gab es keinerlei Warnung über die 112. Es gab auch keine Information für die stundenlang von der Außenwelt abgeschnittenen Bürger. Der für den Katastrophenschutz zuständige ministerielle Staatssekretär im Bürgerschutzministerium, Nikos Chardalias, erklärte dies mit einem bewussten Verzicht auf jegliche Warnung. Chardalias ist auch für die Corona-Pandemie oberster staatlicher Koordinator. Seinen ministeriellen Rang erhielt der frühere Bürgermeister von Vyronas bei Athen während der Corona-Krise. Vorher war er oberster Leiter des Katastrophenschutzes.

Sein Ministerium habe, ließ Chardalias die Öffentlichkeit wissen, die Bürger nicht informiert und "damit Hunderte von Leben gerettet". Denn, so Chardalias, wenn es eine Information gegeben hätte, wäre Panik ausgebrochen und die Menschen hätten vermutlich ihre Häuser verlassen. Das hätte sie gemäß des obersten Katastrophenschützers unnötigen Gefahren ausgesetzt. In den sozialen Medien und generell der griech. Gesellschaft sorgte diese Aussage dass man die Bevölkerung vollkommen bewusst nicht vorwarnte für großes Entsetzen.

Chardalias ging sogar einen Schritt weiter, er beschuldigte den staatlichen Wetterdienst, dass dieser mit einem Totalversagen für die Opfer verantwortlich sei. Seine Behörde habe alles richtig gemacht, meint Chardalias. Der Katastrophenschutz sei vielmehr überrascht worden, weil statt der "rund 70 mm Regen innerhalb weniger Stunden 300 mm Regen fielen". Bei der Flutkatastrophe von Mandres, unter der Syriza-Regierung seien rund 240 mm Regen gefallen, fuhr der Politiker fort. Seinerzeit gab es Dutzende Tote. Damit impliziert Chardalias, ebenso wie weitere Anhänger der Regierungspartei, dass "nur sieben Tote" ein Erfolg seien.

Chardalias bezog sich in seinen Stellungnahmen oft auf die Katastrophe von Mandres und versprach, dass die Bürger auf Euböa rasche Hilfe erhalten würden. Er vergaß jedoch zu erwähnen, dass die Bürger in Mandres, seit dem 15. November 2017 immer noch auf die damals versprochene, staatliche Hilfe warten.

Den Vorwürfen von Chardalias widerspricht der Leiter des staatlichen Wetterdienstes EMY, Theodoros Kolydas. Er legt in seinem Blog dar, dass die Regierung frühzeitig, nämlich bereits am Donnerstag für eine Wetterwarnung der Stufe Orange für die Nacht vom Samstag auf Sonntag über der Insel Euböa informiert wurde. Kolydas Dienst hatte 78 mm Regenfall prognostiziert, insgesamt wurden von Samstagabend 21 Uhr bis Sonntagmorgen 8 Uhr an der Wetterstation Psachna, dem Zentrum des am meisten betroffenen Gebietes, exakt 212,38 mm Regen gemessen.

Für den Meteorologen liegt dieser Wert noch in einem Rahmen, der sich mit der Zuverlässigkeit von exakten Wettervorsagen wissenschaftlich erklären lässt. Er meint, dass eine Unwetterwarnung der Einstufung Orange für eine vorsorgliche Mobilisierung des Katastrophenschutzes ausreichend gewesen sei.

Heute Montag (10/08) war auch Premierminister Mitsotakis per Hubschrauber im Gebiet eingetroffen um sich ein Bild der Lage zu machen und Behörden zu koordinieren.
Er drückte sein tiefstes Beileid aus und versprach eine schnelle Hilfe. Währenddessen trafen auch weitere Rettungs- und Aufräumungsteams aus Athen ein zusammen mit Gruppen von Psychologen um den Einwohnern Beistand zu leisten.

Quellen: heise.de lifo.gr


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